Alexandra Klim zu den Oscars 2020

Die Oscars 2020 schreiben Geschichte – Gewinner, Verlierer und Highlights

Was war das gestern für eine denkwürdige Nacht der Oscars 2020! Eine historische Preisverleihung der Academy Awards mit einem großen und verdienten Sieger. Lasst es mich einmal in der Landessprache versuchen: 네 번의 오스카 축하해, 봉준호! 당신은 그것을 가치 이상으로! Und zur Bekräftigung gleich noch einmal in meiner Muttersprache: Herzlichen Glückwunsch, Bong Joon Ho, zu Ihren Oscars! Sie haben es mehr als verdient!

Der große Gewinner der Oscars 2020: Bong Joon Ho

Aber gehen wir alles mal lieber der Reihe nach an – und ein wenig mehr ins Detail, denn bei allen vier Oscars, die Bong Joon Hos Meisterwerk Parasite erhalten hat, war doch der für den Besten Film, DIE Sensation der Oscar-Nacht. Niemals zuvor in der 91-jährigen Geschichte der Academy Awards konnte ein nicht-englischsprachiger Film in der Königskategorie gewinnen. Wenn man sich dabei noch die direkte Konkurrenz anschaut, ist der Sieg umso überraschender. Ich und viele andere hatten ziemlich sicher mit Sam Mendes‘ 1917 gerechnet, da er alle typischen Oscar-Gewinner-Kriterien erfüllt, aber insgeheim und mit dem Herzen auf Parasite gesetzt. Geschichte schrieb der Film aber schon früher am Abend, als mit dem Gewinn für das Beste Originaldrehbuch das erste Mal überhaupt ein südkoreanischer Film einen Oscar mit nach Hause nahm. Weiter ging es dann Schlag auf Schlag mit weiteren Preisen für die Beste Regie und als Bester Internationaler Film.

Schon an diesem Punkt ging für Bong Joon Ho und das Team von Parasite ein Traum in Erfüllung. Der Krönung des Abends kam aber erst, als Jane Fonda den Gewinner des letzten und wichtigsten Awards verkündete und Parasite damit zum Abräumer der Oscars 2020 machte. Als wegen der Länge der finalen Dankesrede die Bühne dunkel wurde, forderten die Stars in der ersten Reihe, allen voran Tom Hanks, das Licht wieder einzuschalten. Das Parasite-Team konnte daraufhin seinen großen Moment noch etwas länger genießen. Live-Fernsehen vom Feinsten.

Jubel in Südkorea: Von der Schwarzen Liste zum Oscarpreisträger

Emotional waren auch die Reaktionen in Bong Joon Hos Heimat, wo der Filmemacher lange Jahre als regierungskritisch auf einer Schwarzen Liste der Regierung der ehemaligen Präsidentin Park Geun-hye stand. Mit den entsprechenden Auswirkungen wie dem Ausschluss von staatlicher Förderung sowie Personenüberwachung. Aber die Welt kann auch gerecht sein, denn seit ihrer Amtsenthebung 2017 wurde Park wegen Korruption zu ein paar Dekaden Gefängnis verurteilt. Aber freuen wir uns lieber für Bong Joon Ho und seine siegreiche Oscar-Nacht. Besonders rührend waren der Moment als er in seiner Dankesrede für den Regie-Oscar dem ebenfalls nominierten Großmeister Martin Scorsese Respekt zollt, und dieser daraufhin vom Publikum mit Standing Ovations gefeiert wird. Schön auch, als er nach seinem Gewinn für das beste Originaldrehbuch auf der Bühne versonnen seinen ersten Oscar betrachtete.

Endlich. Der erste Schauspiel-Oscar für Brad Pitt

Wenn der erste Preis des Abends ein Omen für den Rest der Oscar-Nacht ist, dann kann ja nach einem Gewinn von Brad Pitt eigentlich nichts mehr schief gehen. 2020 gab es also endlich den ersten Schauspiel-Oscar für Pitt – als Produzent besitzt er ja schon einen für 12 Years a Slave. In seiner emotionalen Dankesrede mit Props an Quentin Tarantino, Gina Davis, Ridley Scott und seine Kinder war er ständig den Tränen nah. Sonst immer unfehlbar witzig und selbstironisch in seinen Dankesreden, wurde Pitt diesmal auch politisch. Er verpasste Donald Trump einen eleganten Seitenhieb, indem er sarkastisch darauf hinwies, dass ihm 45 Sekunden Redezeit zustehen. Das seien genau 45 Sekunden mehr als der ehemalige Sicherheitsberater John Bolton beim abrupt beendeten Impeachment-Verfahren zur Verfügung gehabt habe. Bravo.

Im vierten Versuch erfolgreich: Oscar 2020 für den besten Hauptdarsteller Joaquin Phoenix

Der Sieg von Joaquin Phoenix als Bester Hauptdarsteller war quasi in Stein gemeißelt. Nach vier Nominierungen (Gladiator, Walk the Line und The Master) und einer unübertroffenen Leistung in seiner Rolle als Joker, hat er ihn auch mehr als verdient. Seine Dankesrede war die beste des Abends (sorry, Brad). Er machte sich unter anderem für Gleichstellung, Tierschutz und zweite Chancen im Leben stark; er appellierte an die Menschlichkeit und erinnert an seinen 1993 mit nur 23 Jahren verstorbenen Bruder River.

Der Gänsehaut-Auftritt, ein paar Jahre zu spät: Eminem

Damit hatte keiner gerechnet. Und auch die Academy hatte bis zum Auftritt dicht gehalten: Eminem stürmte die Bühne und gab in einer Mega-Performance Lose Yourself zum besten, 17 Jahre nachdem er für ebendiesen Song den Oscar erhalten hatte! Damals war er unentschuldigt ferngeblieben und vom Publikum vermisst worden. Umso wärmer jetzt der Empfang für den Rapper: Er bekam Standing Ovations vom sonst ziemlich verwöhnten Publikum. Elton John, der mit seinem Oscar-gekrönten Song (I’m Gonna) Love Me Again auftrat, musste auf diese Ehre verzichten.

Erster Oscar für Laura Dern … und damit erster Schauspiel-Oscar für Netflix & Co.

Laura Dern hat mit ihrem nicht ganz unerwarteten Gewinn den ersten Schauspiel Oscar für einen Streaming Dienst nach Hause geholt. Für das von Netflix produzierte und sechsfach nominierte Scheidungs-Drama Marriage Story blieb es allerdings der einzige Gewinn. Nach 40 Jahren Schauspielkarriere und drei Nominierungen (1992 in Rambling Rose und 2015 in Wild) war Dern sichtlich gerührt und bedankte sich von der Bühne herunter bei ihren berühmten Eltern, ihren „Schauspiel-Helden“. Vater Bruce Dern (Coming Home und Nebraska) sowie Mutter Diane Ladd (Wild at Heart und Rambling Rose) waren in der Vergangenheit auch jeweils zweimal oscarnominiert, gingen aber immer leer aus.

Wir sind die ursprünglichen Geschichtenerzähler: Taika Waititi und sein Oscar

Als einer der ersten indigenen Neuseeländer gewann Taika Waititi einen Oscar. Der supersympathische Māori-Filmemacher wurde überraschenderweise für das Beste Adaptierte Drehbuch seiner Nazi-Satire Jojo Rabbit ausgezeichnet. „Ich widme dies allen indigenen Kindern auf der Welt, die Kunst machen und tanzen und Geschichten schreiben wollen“, sagte Waititi in seiner Dankesrede. „Wir sind die ursprünglichen Geschichtenerzähler und wir können es auch hier schaffen.“ Für Euch hier der Trailer zum Film sowie seine Oscar-Dankesrede!

Der große Verlierer: Martin Scorseses The Irishman

Wo es so viele strahlende und verdiente Sieger gibt, muss es auch zwangsläufig Verlierer geben. Bei den Oscars 2020 ist das eindeutig Martin Scorsese. Trotz zehn Nominierungen erhielt sein Irishman keine einzige Auszeichnung, gingen seine beiden nominierten Nebendarsteller Joe Pesci und Al Pacino leer aus und nicht einmal ein Preis in einer der technischen Kategorien war drin. Trotz aller Inszenierungspracht und der hervorragenden Darsteller war The Irishman in diesem Jahr chancenlos … und steht auch ein wenig für das alte Hollywood.

Best Dressed Award für die meinungsstarke Natalie Portman

Wenn ich in diesem Jahr einen Best-Dressed-Award vergeben könnte, dann ginge dieser an Natalie Portman. Sie setzte das brillantes Fashion-Statement der Oscars 2020 mit ihrem Dior Cape, das sie mit den Namen diverser herausragender, aber von der Academy ignorierter Regisseurinnen besticken lassen hat. Über ihrem schwarz-goldenen Haute-Couture-Kleid der Frühjahrs-Kollektion von Dior trug sie besagtes Cape und würdigte damit Lorene Scafaria (Hustlers), Lulu Wang (The Farewell), Greta Gerwig (Little Women), Mati Diop (Atlantics), Marielle Heller (A Beautiful Day in the Neighborhood), Melina Matsoukas (Queen & Slim), Alma Har’el (Honey Boy) und Céline Sciamma (Portrait of a Lady on Fire). In diesem Jahr wurde zum 87sten Mal in der 92-jährigen Geschichte der Academy Awards ausschließlich männliche Regisseure nominiert.

Und hinter der Leinwand: erfolgreiche Frauen!

In anderen Kategorien waren weibliche Filmschaffende in diesem Jahr aber umso erfolgreicher. Joker und Once Upon A Time … in Hollywood sind interessanterweise beide Filme vorwiegend über Männer, mit denen aber die Frauen hinter der Leinwand große Erfolge feierten. Barbra Ling und Nancy Haigh nahmen den Gewinn für das Beste Produktionsdesign (Bestes Szenenbild) für Once Upon a Time mit nach Hause, während Hildur Guðnadóttir Geschichte schrieb – als erste Frau die jemals eine Oscar für die Beste Filmmusik (Joker) gewinnt. In einer der authentischsten Dankesreden des Abends fordert sie Mädchen und Frauen auf, ihr nachzueifern und ihrer Leidenschaft zu folgen: „Wir müssen Eure Stimmen hören.“

Die Gewinne für Bester Animierter Kurzfilm und Dokumentar-Kurzfilm gingen ebenfalls an Frauen (und einen Mann). Hair Love, ein Film über ein kleines Mädchen, dessen Vater lernen muss, wie man Haare frisiert, während ihre krebskranke Mutter im Krankenhaus ist, ist absolut herzerwärmend, lustig und liebenswert. Bitte nehmt Euch unbedingt die sechs Minuten Zeit und schaut Euch den Film auf YouTube an. Hair Love wurde von Matthew A. Cherry und Karen Rupert Toliver inszeniert, die in ihrer Dankesrede sagten: „In Cartoons sehen wir zum ersten Mal unsere Filme, und so gestalten wir unser Leben und wie wir die Welt sehen.“

Learning to Skateboard in a Warzone (If You’re a Girl) ist ein Dokumentar-Kurzfilm über junge Mädchen, die in Kabul lesen, schreiben und skaten lernen. Elena Andreicheva und Carol Dysinger führten Regie und sagten in ihrer Dankesrede über die Lehrer von “Skateistan“, der Schule des Films: „Sie bringen Mädchen Mut bei, die Hand zu heben und zu sagen: Ich bin hier. Ich habe etwas zu sagen. Und ich werde diese Rampe nehmen. Versuche nicht, mich aufzuhalten.“ Und es gibt noch weitere Oscar-Preisträgerinnen: Der Oscar für Bestes Kostümdesign ging an Jacqueline Durran – die einzige Auszeichnung der Nacht für Little Women (trotz 6 Nominierungen), der Gewinn für Bestes Make-up und Haarstyling ging an Kazu Hiro, Anne Morgan und Vivian Baker für ihre extrem beeindruckende Arbeit in Bombshell.

Der größte Lacher

Für Lacher sorgten James Corden und Rebel Wilson mit ihrem Seitenhieb auf Cats, als sie in Originalkostümierung die Gewinner für Best Visual Effects präsentieren. Universal Pictures’ Musical-Film hatte bei den Oscars keine Chance, war dafür aber gleich neunmal bei den diesjährigen Razzie-Awards, also der Goldenen Himbeere, nominiert, unter anderem in der Kategorie „Schlechtestes Leinwandpaar“ für „Zwei beliebige halb katzenartige / halb menschliche Haarbälle“.

Der Mega-Kassenflop erhielt aber auch von seriöseren Kritikern haarsträubend schlechte Bewertungen. Die Visual Effects Society empfand indessen Cordens und Wilsons Auftritt weniger lustig und beschwerte sich umgehend, dass die Academy dadurch ihr Handwerk herabgesetzt habe. Humor ist, wenn man trotzdem lacht … schaut Euch den Clip an:

Und noch ein schöner Oscar-Moment

Idina Menzel, die in der Originalversion von Frozen 2 der Eiskönigin ihre Stimme leiht, singt gemeinsam mit diversen anderen Schauspielerinnen und Sängerinnen, die Elsa in internationalen Synchron-Fassungen verkörpern, den oscarnominierten Titelsong Into the Unknown. 

Mein Fazit zu den Oscars 2020

Im Vorfeld schienen die Oscars 2020 ja ein weiteres Festival der Unzufriedenheit zu werden. Irrelevant, nicht divers genug, kaum zeitgemäß und #oscarssuck klang es aus allen Richtungen. Aber am Sonntagabend passierte im Dolby Theatre etwas unerwartet Erfreuliches. Die Zeremonie bot Momente, die so waren, wie Unterhaltungskunst eigentlich sein sollte: überraschend, nicht leicht einzuordnen und authentisch provokativ.

In diesem Sinne bleiben die Oscars auch in Zukunft Pflicht für mich. Wobei ich da aber anscheinend immer einsamer werde vor dem Bildschirm. Laut Variety ist die Zuschauerquote in diesem Jahr äußerst bescheiden ausgefallen, ganze 20 % runter im Vergleich zum Vorjahr. Von einem „all time low“ bei den US Zuschauern ist sogar die Rede. Mal sehen, was sich die Damen und Herren von der Academy 2021 einfallen lassen, um hier den Trend endlich einmal umzudrehen.

Vorher aber sehen wir uns hier ganz sicher wieder!

Ich freue mich darauf!
Eure Alexandra Klim

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